Die Mumie eines verstorbenen Adeligen liegt seit dem 18. Jahrhundert in einem Anbau der Dorfkirche in Kampehl, einem kleinen Ort bei Neustadt (Dosse). „Seit mehr als hundert Jahren ist der Ritter Kalebuz auch eine touristische Attraktion. Der uralte Körper wurde aber noch nie umfassend wissenschaftlich untersucht“, sagt Prof. Andreas Winkelmann.
Er ist Professor für Anatomie an der Medizinischen Hochschule Brandenburg Theodor Fontane (MHB) und hat dies nun gemeinsam mit einem Team von Experten nachgeholt.
Der bekannte Mumienforscher Prof. Albert Zink, Leiter des Instituts für Mumienforschung in Bozen (Italien), der auch maßgeblich an Untersuchungen der Gletschermumie Ötzi beteiligt war, hat gemeinsam mit seinen Mitarbeitern Gewebeproben von der Ritter-Mumie entnommen und analysiert. Prof. Zink und seine Kolleg:innen sorgten durch eine spezielle Konstruktion zudem für einen sicheren Transport der fragilen Mumie von Kampehl zum Universitätsklinikum Ruppin-Brandenburg (ukrb) nach Neuruppin und zurück. Radiologe Dr. Reimund Parsche hat dort den Körper per Computertomographie (CT) untersucht. MHB-Medizin-Student Maximilian Voss recherchierte in Archiven in historischen Unterlagen zu dieser besonderen brandenburgischen Geschichte, die Schreibweise Kalebuz (statt Kahlbutz) entspricht dem Kirchenbuch-Eintrag im Pfarramt. Unterstützt wurde die Forschung außerdem von dem Archäologen Dr. Bernhard Heeb von den Staatlichen Museen Berlin und der Anthropologin Barbara Teßmann.
Als der Sarg im Jahre 1794, über 90 Jahre nach dem Tod des Christian Friedrich von Kalebuz (1651 bis 1702), des Gutsherrn von Kampehl, geöffnet wurde und die Menschen seine mumifizierten Überreste fanden, erinnerte man sich daran, dass erzu Lebzeiten in einem Mordprozess einen Eid schwören musste, um freigesprochen zu werden. Er soll laut der bekannten Legende gesagt haben, dass Gott wolle, dass er nach seinem Tod nicht verwesen soll, wenn er ein Mörder sei. Der Sage nach war ihm vorgeworfen worden, einen Schäfer aus dem Nachbarort erschlagen zu haben, der dem Adeligen das „Recht der ersten Nacht“ mit seiner Verlobten verweigert habe.
Um die Kalebuz-Mumie ranken sich seither einige Legenden. Da am Sarg kein Name stand, konnte man den Mann nur an den Initialen C.F. am Leichenhemd identifizieren. Das erscheint aus heutiger Sicht plausibel, da Kalebuz zwar zwei Söhne mit denselben Initialen hatte, die aber vermutlich nicht in Kampehl beerdigt wurden. Ansonsten sind die überlieferten historischen Daten lückenhaft. Die Prozess-Akten gibt es schon lange nicht mehr, sodass vieles aus der mündlichen Überlieferung weder bewiesen noch widerlegt werden kann. Dass Kalebuz im Jahr 1675 als Kornett in den brandenburg-preußischen Truppen an der Schlacht bei Fehrbellin gegen die Schweden teilgenommen hat und sich dabei eine Knieverletzung zugezogen hat, die man der Mumie ansehe, wie vielfach behauptet wurde, erscheint aufgrund der Recherchen in historischen Unterlagen allerdings unwahrscheinlich.
Die erstaunlichste und ungewöhnlichste Entdeckung, die bei der CT-Untersuchung der Mumie gemacht wurde, war ein Bleistift in der Brusthöhle. Dieser konnte vom Team endoskopisch, also ohne die Mumie zu beschädigen, geborgen werden. „Es handelt sich um einen gebrauchten Bleistift der Marke Johann Faber, vermutlich aus den Jahren zwischen 1900 und 1920“, erklärt Prof. Winkelmann. In der rechten Seite hat die Mumie eine größere Öffnung. Dieser Brustwanddefekt rührt vermutlich von dem Mediziner Rudolf Virchow (1821 bis 1902), der im Jahr 1895 eine Gewebeprobe entnahm, die er aber offenbar nie untersuchte. Durch diesen Defekt wird der Bleistift in den Körper gelangt sein. „Dies reiht sich in bekannte Geschichten über den einen oder anderen Schabernack ein, der mit der Mumie in früheren Jahrhunderten getrieben wurde“, schätzt Prof. Winkelmann ein.
Bei der CT-Untersuchung fand sich außerdem ein rundlicher metallischer Gegenstand in der Mundhöhle der Mumie, den man dem Toten mitgegeben hat. Dabei könnte es sich am ehesten um eine Münze oder ein Amulett handeln. „Da der Mund der Mumie zu eng geschlossen ist, kann man diesen Gegenstand nur durch einen Schnitt ins Gewebe bergen – ob man das dem Ritter antut oder ihm dieses Geheimnis lässt, wird der zuständige Gemeindekirchenrat noch entscheiden“, sagt Prof. Winkelmann zu möglichen weiteren Nachforschungen.
Die Befunde des CT und die Untersuchung des Gewebes auf den Todeszeitpunkt (C14-Untersuchung) passen zu einem 50- bis 60-jährigen Mann, der im frühen 18. Jahrhundert starb. Dies spricht zumindest nicht gegen die Identität des Kalebuz, die historisch durchaus schon einmal angezweifelt wurde. Die in einigen Überlieferungen behauptete Knieverletzung findet sich nicht. Das Skelett des Mannes ist seinem Alter entsprechend recht gesund gewesen.
Hinweise auf eine künstliche Mumifizierung wurden nicht gefunden. Der Leichnam wird durch einen guten Luftzug in dem Doppelsarg, der auf vier Füßen steht, schnell ausgetrocknet und dadurch mumifiziert sein. So konnte die CT-Untersuchung auch ausschließen, dass dem Körper Organe entnommen wurden, wie es beispielsweise bei der Mumifizierung in Ägypten üblich war. In den Gewebeproben sind menschliche und bakterielle DNA gefunden worden. „Die menschliche DNA war aber leider zu stark degradiert, um weitergehende Analysen zu erlauben. Da eine historische Überlieferung davon ausgeht, dass der Kalebuz an einem Blutsturz bei Lungenschwindsucht (Tuberkulose) starb, wurde jetzt speziell auf DNA des Tuberkulose-Erregers geschaut. Dieser war aber nicht eindeutig nachweisbar. Damit kann diese Todesursache trotzdem nicht ausgeschlossen werden. Die genaue Todesursache lässt sich nach über 300 Jahren nicht mehr feststellen“, sagt Prof. Winkelmann.
Das Forscherteam bedankt sich bei der Kirchengemeinde für die gute Zusammenarbeit und bei den Förderern. Die Untersuchungen wurden insbesondere von der Stiftung der Sparkasse Ostprignitz-Ruppin unterstützt sowie außerdem von der Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte und vom Motorsportclub Kalebuz e.V.