Nicht schweigen! Nicht vergessen!
Erinnerung und Gedenken im Landkreis an die antisemitischen Pogrome
In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 fanden in Deutschland Terrorakte der Nationalsozialisten gegen Jüdinnen und Juden statt. Etwa 1.000 Menschen wurden ermordet oder in den Suizid getrieben. Über 1.400 Synagogen und etwa 7.500 Geschäfte und Wohnungen wurden durch Angehörige der SA und der SS zerstört, jüdische Friedhöfe und andere Einrichtungen der Gemeinden verwüstet. In den Tagen danach verhaftete die Gestapo etwa 30.000 Menschen jüdischen Glaubens und verschleppte sie in Konzentrationslager. Der Begriff „Pogrom“ stammt aus dem Russischen und meint wörtlich übersetzt „Krawalle“, „Verwüstung“ oder „Zerstörung“.
85 Jahre nach den Pogromen versammelten sich am gestrigen Donnerstag in Neuruppin mehr als 80 Menschen vor dem früheren und derzeit leerstehenden Kaufhaus Magnet in der Karl-Marx-Straße 15, um an die furchtbaren Ereignisse zu erinnern. Dazu aufgerufen hatte unter anderem das Aktionsbündnis „Neuruppin bleibt bunt“. Unter den Teilnehmenden waren auch die Kreistagsvorsitzende Sigrid Nau, die Integrations- und Gleichstellungsbeauftragte des Landkreises, Judith Melzer-Voigt, Sozialdezernent Andreas Liedtke sowie Neuruppins Erste Beigeordnete und stellvertretende Bürgermeisterin Daniela Kuzu.
Martin Osinski von „Neuruppin bleibt bunt“ zitierte zu Beginn Max Mannheimer, einen Holocaust-Überlebenden: „Ihr seid nicht schuld an dem, was war, aber verantwortlich dafür, dass es nicht mehr geschieht.“ Osinski fügte mit eigenen Worten hinzu: „Wir gedenken aus der Überzeugung heraus, dass die Verbrechen des Nationalsozialismus an den Juden Europas niemals vergessen werden dürfen. Wir erinnern an die antisemitischen Gräueltaten des so genannten Dritten Reichs, damit sie sich nicht wiederholen können.“
Auch die Vorsitzende des Kreistages, Sigrid Nau, betonte in ihrer Rede, dass es einen so genannten „Schlussstrich“ beim Erinnern an das Morden und den Terror der Nationalsozialisten niemals geben werde. Es dürfe nicht vergessen und auch nicht geschwiegen werden, gerade jetzt. Sigrid Nau: "Seit dem Angriff der Terrororganisation Hamas auf Israel am 7. Oktober werden Jüdinnen und Juden in Deutschland wieder mit unglaublichem Hass, Gewaltandrohungen und Anfeindungen konfrontiert. Eine neue Welle des Antisemitismus geht 85 Jahre nach den November-Pogromen durch unser Land. Dagegen müssen wir alle unsere Stimme erheben und deutlich machen: In unserer Demokratie, in unserem Rechtsstaat, der uns alle schützt und verteidigt, haben Antisemitismus, Hass und Rassismus keinen Platz.“
Johannes Bunk stellte das Leben und Werk Max Silberbergs vor. Der 1878 am Standort des ehemaligen Magnet-Kaufhauses geborene Unternehmer und große Kunstsammler war nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten mit seiner Familie systematisch ausgegrenzt, entrechtet und enteignet worden. Silberberg und seine Frau Johanna wurden 1942 nach Theresienstadt deportiert und danach ermordet - über den genauen Tag und Ort des Todes gibt es keine Unterlagen. Das Schicksal von Max Silberberg, der länger in Neuruppin lebte als etwa ein Schinkel oder Fontane, stand auch im Mittelpunkt eines Kurzfilms von Johannes Krohn, der zum Abschluss der Gedenkveranstaltung in der Bilderbogen-Passage erstmals öffentlich aufgeführt wurde.
Zuvor waren die Teilnehmenden schweigend vom Kaufhaus Magnet zum Schulplatz und dort zum Mahnmal für die Opfer des Faschismus gezogen, vorbei auch an Stolpersteinen. Diese im Boden verlegten kleinen Messingtafeln erinnern an das Schicksal der Menschen an ihren früheren Wohn- und Schaffensorten, die von den Nationalsozialisten verfolgt, deportiert, vertrieben, ermordet oder in den Tod getrieben wurden. Wie Emilie Drucker aus der heutigen Karl-Marx-Straße 22 (damals Friedrich-Wilhelm-Straße) oder aber Emma Anker und Edith Frank, die im Haus mit der Nummer 34 wohnten und in Neuruppin lebten. All diese Schicksale dürfen niemals aus dem Gedächtnis verschwinden. Als Mahnung für die Zukunft. Die Holocaust-Überlebende Margot Friedländer hatte 2018 vor Berliner Schülerinnen und Schülern gesagt: „Ich bin zurückgekommen um mit Euch zu sprechen, um Euch die Hand zu reichen, Euch zu bitten, dass Ihr die Zeitzeugen sein sollt, die wir nicht mehr lange sein können. Es ist für Euch, für Eure Zukunft. Das darf nie wieder geschehen. Und ihr müsst dafür sorgen, dass es nie wieder geschieht."