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Themen der Woche: nah dran

11.10.2021

Eine Lesung anderer Art

Autorin Sandra Lüpkes zu Gast in Kyritz

Die Autorin Sandra Lüpkes las im Rahmen des Literarischen Bilderbogens in Kyritz. © Landkreis OPR
Die Autorin Sandra Lüpkes las im Rahmen des Literarischen Bilderbogens in Kyritz. © Landkreis OPR

Es war keine Lesung im klassischen Sinne, welche die Zuhörer:innen am Freitagabend im Möbelhaus Wagnitz im Rahmen der Veranstaltungsreihe des „Literarischen Bilderbogens“ erlebten.

Zu Gast war die Autorin Sandra Lüpkes, die mit „Die Schule am Meer“ ihren bereits 19. Roman in Kyritz vorstellte. Sie schreibe schon seit 20 Jahren, berichtete sie den Gästen, die für die Lesung in gemütlichen Sesseln oder auf den Sofas im Möbelhaus Platz genommen hatten. Begonnen habe sie mit Krimis, dann seien Ratgeber, aber auch „Bücher fürs Herz“ gefolgt, die zumeist auf den ostfriesischen Inseln spielten. Aufgewachsen ist Sandra Lüpkes als Tochter des Inselpastors auf Juist.

Sandra Lüpkes stellte ihren neuen Roman vor. © Landkreis OPR
Sandra Lüpkes stellte ihren neuen Roman vor. © Landkreis OPR

Für ihren Besuch in Kyritz fand sie lobende Worte. Die Stadt habe sich ihr von ihrer besten Seite gezeigt, so Lüpkes. Aus der Hauptstadt kommend, habe sie den Nachmittag lesend im Sonnenschein auf dem Marktplatz sehr genossen. „Weiter weg von Berlin wird es immer schöner“, verriet sie dem Publikum. Neue Ideen für Bücher habe sie ständig, auch die Bahnfahrt nach Kyritz habe Potential geboten. Die Idee für ihren neuen Roman aber sei ihr bei einer Lesung im Juister Küstenmuseum gekommen, als sie vor den Toiletten ein Plakat über die Geschichte der lediglich von 1925 bis 1934 auf der Insel existierenden reformpädagogischen Internatsschule entdeckte. „2017 war ich ausgebrannt, wollte eigentlich nicht mehr über Juist schreiben“, berichtete ehrlich die Autorin, die gemeinsam mit ihrem Mann auch Drehbücher für die Reihe „Wilsberg“ verfasst.

Aber dann habe sie genau dort auf Juist im Museum die Muse geküsst. Sie sei neugierig gewesen, welche Schicksale sich hinter den schlichten Geschichtsdaten verbargen, denn mit der Schule stehen zahlreiche bekannte Lehrer:innen und Schüler:innen in Verbindung. So zählte neben dem Schulleiter Martin Leserke, nicht nur der Komponist Eduard Zuckmayer, Bruder des Dichters Carl Zuckmayer, zu den Lehrern der Schule am Meer, sondern auch Beate Uhse sowie der Sohn des Unternehmers Ernst Leitz, der 1925 eine erste Kleinbildkamera (Leica) auf den Markt gebracht hatte, zu den Schülern. Dementsprechend konnte auch die Autorin, die zweieinhalb Jahre an dem Roman über die Schule am Meer schrieb, bei der Recherche auf einen großen Fundus an Fotos zurückgreifen.

An dem Gesellschaftsroman schrieb Lüpkes 2,5 Jahre. © Landkreis OPR
An dem Gesellschaftsroman schrieb Lüpkes 2,5 Jahre. © Landkreis OPR

Zahlreiche Bilder hatte sie auch bei der Lesung in Kyritz im Gepäck, so dass sich die Zuhörer:innen auf eine – nicht immer angenehme – Zeitreise in das Juist der 1920er und 1930er Jahre begeben konnten. Auch das Tagebuch des Schulleiters fand sich im Fundus des Juister Küstenmuseums. „Ich konnte aus dem Vollen schöpfen“, so Sandra Lüpkes. Vier Lehrerehepaare gründeten 1925 die Schule am Meer im Örtchen Loog auf Juist. Das sei damals ein gottverlassener und unwirtlicher Ort mitten in den Dünen gewesen, berichtete die Autorin. Fortan wurden dort aber bis zu 90 Mädchen und Jungen gemeinsam unterrichtet – ein Novum –, die nicht nur beim Küstenschutz, sondern auch bei den Schulneubauten mitanpacken mussten.

Als verbindendes Element stand das Theaterspiel im Fokus der Schule. Mit den Stücken ging man sogar deutschlandweit auf Tournee. Heute befindet sich im damaligen Theatersaal die Jugendherberge der Insel Juist. Die Schule sei die Geschichte einer Gemeinschaft, die alles richtig machen wollte und auf dem richtigen Weg war, aber daran scheiterte, dass sich die Welt veränderte, so Lüpkes.

Die Lesung fand im Kyritzer Möbelhaus Wagnitz statt. © Landkreis OPR
Die Lesung fand im Kyritzer Möbelhaus Wagnitz statt. © Landkreis OPR

Denn auch die ostfriesischen Inseln blieben von einem Voranschreiten des Nationalsozialismus nicht verschont. „Es waren auf Juist nicht alle gleich willkommen“, berichtet Sandra Lüpkes. Nicht nur zahlreiche Schüler:innen waren jüdischer Herkunft, sondern auch ein Teil des Lehrpersonals, für das ab 1933 ein Berufsverbot galt. Zu ihm zählte auch Anni Reiner, die mit ihrem Mann zu den Gründern der Schule gehörte – in Sandra Lüpkes Roman, der sich an den historischen Tatsachen orientiert, aber auch fiktive Figuren enthält, übernimmt sie eine der Hauptrollen. 1933 verließ sie gemeinsam mit ihren vier Töchtern die Insel. Doch ob freiwillig oder weil ihr gekündigt wurde, dass erfuhr Sandra Lüpkes erst nach einer umfangreichen Recherche, die sie bis in die Schweiz führte.

Dort machte sie Anni Reiners jüngste Tochter Karin, mittlerweile 90 Jahre alt, ausfindig. Diese öffnete ihr sämtliche Türen und bot ihr sogar einen Platz zum Schreiben in dem Haus ihrer Mutter am Ufer des Lago Maggiore. In einer alten Truhe fand Lüpkes dort einen großen Stapel Briefe, die Anni Reiner an ihre Töchter geschrieben hatte. Sie waren aus einer Zeit, die Sandra Lüpkes bisher für ihren Roman gefehlt hatte. So habe sich ihre Recherche und die Geschichte zusammengefügt, erklärte die Autorin den Zuhörer:innen im Möbelhaus. Und sie fand in den Briefen auch die Antwort auf ihre Frage, warum Anni Reiner Juist verlassen hatte. „Sie hatte von sich aus gekündigt, bevor sie als Jüdin die Schule verlassen musste.“ Trotzdem bestand die Schule am Meer, aus der später ein Haus für die Hitlerjugend und den Bund Deutscher Mädel wurde, nur noch ein weiteres Jahr. 1934 wurde sie geschlossen, weil es kaum noch Familien gab, die das Schulgeld aufbringen konnten.

Zum Abschluss der Lesungin Kyritz, nach der sich zahlreiche Zuhörer:innen ein Exemplar des Buches über „Die Schule am Meer“ signieren ließen, gab Sandra Lüpkes noch allen das Lebensmotto von Anni Reiner mit auf den Weg: „ Es geht im Leben nicht um Angst, auf den Mut kommt es an.“

Zahlreiche Zuhörer:innen ließen sich den Roman von der Autorin signieren. © Landkreis OPR
Zahlreiche Zuhörer:innen ließen sich den Roman von der Autorin signieren. © Landkreis OPR
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